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Abbau der Tierzahlen

Öffentliche Debatte

Der russische Angriffskrieg brachte eine Forderung verstärkt ins öffentliche Bewusstsein, die von Umwelt- und Tierschutz-NGOs zum festen Bestandteil der Agrar- und Ernährungswende gerechnet wird: Die Tierzahlen in der landwirtschaftlichen Haltung müssen sinken. Und der Anteil von Tierprodukten in unserer (westlichen) Ernährung sollte gleichermaßen abnehmen.

Seit Jahren wächst die Anzahl an zivilgesellschaftlichen Organisationen, die fordern, Tierzahlen in Deutschland und den reichen Industrieländern in den kommenden Jahrzehnten zu halbieren.1,2

Feedlots im Mittleren Westen der USA symbolisiere den dringenden Bedarf eines Abbaus der Tierzahlen
Feedlots im Mittleren Westen aus Vogelperspektive. (USA) – Credit: [Jacob Broomsma] / Shutterstock

Wissenschaft stützt Reduktionsziele

Die EAT-Lancet-Kommission, eine internationale Expert*innenkommission, veröffentlichte 2019 den Vorschlag für eine Ernährungsweise, die sowohl gesund für Menschen als auch klimaverträglich ist.3

Gesetzt den Fall, dass Deutschland sie umsetzen und die landeseigenen Tierbestände daran anpassen würde, folgt daraus rechnerisch ein erheblicher Abbau der Tierzahlen:
Die Zahl der Rinder würde sich um 84%, die der Hühner um 81%, der Schweine um 91% und der Schafe und Ziegen um 94% des Niveaus von 2010 verringern.

Im Angesicht des Ukraine-Krieges stellten im Frühjahr 2022 Mitglieder renommierter deutscher Forschungsinstitute drei zentrale Hebel vor, um die Nahrungsmittelkrise in den Griff zu bekommen:
Sie empfehlen, “die Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen in Europa und anderen Ländern mit hohem Einkommen” zu beschleunigen. Dadurch sollen die Tierzahlen und das für das Futter benötigte Getreide deutlich reduziert werden.

Eine Herde Kühe isst Heu in einem Kuhstall in einem Milcherzeuger-Betrieb – Credit: [Ground Picture] / Shutterstock

Abbau der Tierzahlen gegen den Hunger

In Deutschland werden zwischen 60 und 70% der Agrarfläche für die Herstellung tierbasierter Lebensmittel genutzt. Weltweit sind es, Weideflächen inbegriffen, sogar 83% der Agrarflächen.4

Dabei liefern Tierprodukte einen deutlich geringeren Anteil an benötigten Nährstoffen. Der Anteil schwankt zwischen 20% im Fall von Kalorien und 40% bei Proteinen 5. Über den Umweg in der Nahrungskette, Pflanzenfresser anstelle von Pflanzen zu essen, geht so viel Energie und insbesondere landwirtschaftliche Fläche verloren.

Ein Wandel hin zu mehr Gemüse, Getreide und Früchten und weniger Tierprodukten in der Ernährung in Europa würde daher den Druck auf Getreidemärkten weltweit abmildern.6

Umgekehrt riskiert eine weltweit weiter steigende Nachfrage nach tierbasierten Nahrungsmitteln neue Hungerkrisen in armen, von Getreideimporten abhängigen Ländern. Denn Getreidepreise steigen mit dem Bedarf an Tierfutter.

Deutschland selbst hat zwar nur begrenzten Einfluss auf die weltweite Nachfrage nach Tierprodukten. Aber alle westlichen, reichen Länder zusammen haben eine Vorbildfunktion, weil sie das heutige System der Tierhaltung global etabliert haben. Reiche Länder haben eine große Verantwortung, ihren Beitrag zu leisten, die negativen Folgen dieses Systems zu lindern. Das tun sie mit weniger Tierprodukten in ihrer Ernährung und geringeren Tierzahlen.

Hufabdrücke von Rindern in ausgetrocknetem Boden. – Credit: [Michael Busby] / Shutterstock

Warum ist das gut für Tiere?

Warum aber ist eine Reduktion der Tierzahlen gut für Tiere? Darauf gibt es zunächst eine naheliegende Antwort. Weil Tiere unter den allermeisten Haltungsformen in der Landwirtschaft leiden, und – würden wir es ihnen zur Wahl stellen – mit hoher Sicherheit gegen eine solche “Nutzung” und Tötung stimmen würden.

“…dann gibt es irgendwann keine Tiere mehr”

Gelegentlich hört man in der Debatte um Tierrechte den Einwand, dass es doch nicht im Interesse der Tiere sein kann, wenn sie weniger werden und am Ende sogenannte Nutztiere gar aussterben. Denn – so das Argument – wenn niemand sie nutzt, werden sie nicht gehalten und kommen gar nicht erst zur Welt.

Grundsätzlich gilt: Wenn Menschen aktiv in die Reproduktion der Tiere eingreifen, zum Beispiel indem sie künstlich besamen, tragen sie eine besondere Verantwortung dafür, dass diese Tiere und ihre Nachkommen gut leben und sich frei entfalten können.

Eine Kuh alleine auf der Weide. (Australien) – Credit: [William Edge]

Das ist in der auf Wirtschaftlichkeit und Leistung ausgerichteten Tierhaltung unmöglich. Und würde es ohne intensive Nutzung keine Tiere in menschlicher Obhut mehr geben? Manche Formen der Haustierhaltung und Lebenshöfe, auf denen Tiere ohne Nutzung leben können, zeigen, dass andere Formen des Zusammenlebens auch von Menschen angestrebt werden.

Allerdings stimmt auch: Jedes Leben eines einzelnen Tieres hat einen eigenen Wert an sich. Wenn wir die Diskussion um eine “Reduktion der Tierbestände” rein aus Sicht des Ressourcen- und Klimaschutzes führen, wird dieses Faktum manchmal vergessen: es handelt sich um Individuen mit ethischen und politischen Ansprüchen.

Grundsätzlich muss abgewogen werden zwischen dem Erlösen von Leid und Qual und dem Interesse am Leben der Tiere und ihrer Nachkommen. Schließlich beinhaltet die Beendigung der Haltung gezüchteter “Nutztiere” auch die Chance, frei werdende Agrarflächen für wildlebende Tiere zu nutzen. Deshalb ist die spezifische Sicht des Tierschutzes und Tierrechtes in der gesellschaftlichen Debatte um “Tierzahlreduktion” so wichtig.

Ein Rothirsch in der Morgensonne. – Credit: [arturasker] / Shutterstock

Schutz von Nutztieren nur mit geringeren Tierzahlen möglich

Es gibt aber noch einen weiteren Zusammenhang zwischen Tierschutz und Tierzahlen: Je weniger Tiere gehalten werden, desto mehr materielle und personelle Ressourcen können zum Wohl eines Tieres eingesetzt werden.

Wenn einzelne Tiere mehr Fläche zur Verfügung haben sollen, führt an der Tierzahlreduktion kein Weg vorbei. Einer aktuellen Berechnung7 zufolge müssten sich die Haltungsflächen für Tiere versechsfachen, wenn alle Tiere mit so viel Platz ausgestattet würden, wie das EU-Bio-Siegel es verlangt.

Bei geringeren Tierzahlen kann auch in anderer Hinsicht mehr für jedes einzelne Tier getan werden: Beispielsweise würde jedes einzelne Tier profitieren, wenn die aktuelle veterinärmedizinische Versorgung auf deutlich weniger Tiere verteilt würde.

Zwischen “Umbau” und “Abbau” der Tierhaltung

Der Abbau der Tierzahlen ist aus Sicht vieler Landwirt*innen ökonomisch bedrohlich: Die Landwirtschaft ist heute sehr eng mit der Tierhaltung verzahnt. Dazu hat auch die Politik beigetragen. Während der “Umbau der Tierhaltung”8 hin zu mehr Tierschutz heute auch von Agrarverbänden angestrebt wird, ist eine Politik des “Abbaus” immer noch ein Tabu.

Leere Ställe. – Credit: [mitifoto] / Shutterstock

Der mit “mehr Tierwohl” beworbene Umbau der Tierhaltung soll die Akzeptanz der Tierhaltung verbessern, um so die Tierhaltung in ihrer aktuellen Größenordnung zu erhalten.9 

Berechnungen deuten darauf hin, dass die geplanten staatlichen Förder-Milliarden zum “Umbau” der Tierhaltung die Anzahl der Tierhaltungsbetriebe, und damit letztlich auch der “Nutztiere” in Deutschland, künstlich hoch halten könnte.10   

Das Problem globaler, freier Märkte

Ein häufiger Einwand gegen konkrete Maßnahmen zum Abbau der Tierzahlen innerhalb Deutschlands lautet auch, dass damit niemandem geholfen sei. Betriebe würden dann ihre Produktion lediglich ins Ausland verlagern. Dort könne die Situation für die Tiere sogar noch schlimmer werden.11

Während der Hinweis auf die Problematik des internationalen Wettbewerbs der Produktionsstandorte wichtig ist, läuft ein solches Argument dennoch fehl. Denn der Abbau der Tierhaltung lässt sich als Gesamtstrategie konzipieren, bei der nationale und internationale Maßnahmen ineinander greifen.

Sicherlich muss die Politik das Problem internationaler Verlagerungen der Produktion im Blick behalten und im Handelsrecht Lösungen anstreben, z.B. durch Importverbote aus Ländern, die keine nachhaltige Tierschutzpolitik umsetzen.

Da internationale Übereinkommen schwierig sind und zudem oft nationale Vorbilder brauchen, können einzelne Länder zunächst in ihren Geltungsbereichen beginnen, Tierzahlen zu reduzieren.  Deutschland kann mit seiner Politik international zeigen, dass eine Reduktion der Tierhaltung nicht das Ende der Landwirtschaft bedeutet.

Wichtig ist auch eine Verankerung der Abbauziele auf internationaler Ebene, z.B. in der Europäischen Union oder durch die Vereinten Nationen. Nationale und internationale Strategien zur Tierzahlreduktion schließen sich nicht etwa aus, sondern können nur zusammen erfolgreich werden.

Transparenz über die Subventionen in die Tierwirtschaft

Da traditionell die Stärkung der Tierhaltung im Fokus der europäischen und deutschen Agrarpolitik stand12, muss davon ausgegangen werden, dass ein Gros der aktuellen Subventionen dem Agrarsektor der Tierwirtschaft direkt oder indirekt zugute kommt.

Aktuelle Berechnungen gehen von jährlich 13,2 Milliarden Euro aus, die direkt und indirekt aus staatlichen Geldern in die Tierwirtschaft, also Tierhaltung plus vor- und nachgelagerte Bereiche, fließen13.

Bisher fehlt aber von Seiten der Agrarpolitik eine Aussage über das gesamte Fördervolumen und über die Folgen der Förderpolitik, gerade hinsichtlich der Entwicklung der Tierzahlen.

Symbolbild EU-Subventionen. – Credit: [Design Rage] / Shutterstock

Dass vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) bislang keine Gesamtzahl der Subventionen veröffentlicht wurde, die gestrichen werden soll, erscheint besonders vor dem Hintergrund frappierend, dass Cem Özdemir, der Minister für Ernährung und Landwirtschaft selbst, die Tierhaltung deutlich reduzieren will14.

Politische Maßnahmen zum Abbau der Tierhaltung

Die Politik kann auf eine Wende bei der Entwicklung der Tierzahlen in Deutschland – hin zu einer signifikanten Reduktion – aktiv hinwirken. Zahlreiche Maßnahmen sind dafür denkbar.

Auf die Wende im Konsum hin zu pflanzlichen Alternativen kann mit vielfältigen Maßnahmen hingearbeitet werden:

Symbolbild eines Schweins, das auf 100€-Banknoten steht. – Credit: [Lisa-S] / Shutterstock

Parallel dazu muss die Politik dringend die aktuellen staatlichen Förderungen in die Tierhaltung und den Konsum tierlicher Produkte (zum Beispiel durch den geringen Mehrwertsteuersatz von 7% auf Fleisch und Milch) benennen und auflisten.

Die Förderungen sollten unmittelbar beendet werden, sofern sie einseitig nur die Rentabilität der Tierhaltung  stärken und damit zur künstlichen Erhöhung der Tierzahlen beitragen.

Forderungen von Animal Society

Ambitionierte Ziele konkret machen: Die Politik in Deutschland sollte das Ziel des Abbaus der Tierhaltung konkret machen, zum Beispiel mit der Forderung “50 by 40”, den Abbau der Tierzahlen um die Hälfte des aktuellen Niveaus bis 2040.15

Transparenz über Subventionen und Folgen der Agrarpolitik herstellen: Die Politik muss unverzüglich Transparenz über Folgen der aktuellen Agrarpolitik auf die Tierzahlentwicklung schaffen. Die Bürger*innen haben ein Recht, zu erfahren, ob die notorisch hohen staatlichen Förderungen in die Landwirtschaft und die Tierhaltung die Tierzahlen künstlich und unnötig hoch halten.

Positives Framing des Ersatzes, anstelle des bloßen Abbaus: Um Widerständen gegen die Tierzahlreduktion zu begegnen, muss die Politik sich für den “Ersatz” der Tierhaltung durch pflanzliche oder andere Alternativen einsetzen, nicht nur für den Abbau. So können insbesondere wirtschaftliche Verlustängste der Landwirt*innen und Konsument*innen reduziert werden…

Quellen

1 Klimaschutzplan 2050 der deutschen Zivilgesellschaft (2016), Klima-Allianz (Hrsg. und Koordinatorin)
2 50by40, https://50by40.org/about/ (zuletzt aufgerufen am 16.08.2022), Summary Report.
3 EAT-Lancet-Kommission (2019). Healthy Diets from Sustainable Food Systems. Food, Planet, Health. Summary Report Of the EAT-Lancet-Commission
4-5 Poore, J., Nemecek, T. (2018), Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers, Science 360 (6392), S. 987
6 Pörtner, L. M., Lamprecht, N., Springmann, M. et al. (2022, 04.04.), We need a food system transformation – in the face of the Ukraine war, now more than ever Stiftung für Tierschutz, Berlin
7, 11 von Gall, P. und Petrick, K. (2022): Weniger Tiere – mehr Raum. Zur Entwicklung der Tierzahlen aus Tierschutzsicht mit Blick auf den Flächenbedarf. Analyse im Auftrag von VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz, Berlin.
8 BMEL (2022, 27.04.) Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland – Der Borchart-Prozess (zuletzt aufgerufen am 16.08.2022)
9 BMEL (2020, 11.02.) Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung
10 Deblitz, C., Efken, J., Banse, M., et. al., (2021). Politikfolgenabschätzung zu den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, in: Thünen Working Paper 173, Johann Heinrich von Thünen-Institut, S. 191
12 Feindt, P., Krämer, C. Früh-Müller, A., et al. (2019), Ein neuer Gesellschaftsvertrag für eine nachhaltige Landwirtschaft. Wege zu einer integrativen Politik für den Agrarsektor.
13 Studie (2021), Milliarden für die Tierindustrie. Wie der Staat öffentliche Gelder in eine zerstörerische Branche leitet, Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie (Hrsg.)
14 BMEL (2022, 05.05.) Wer Umweltinteressen ausspielt gegen die Interessen einer sicheren Ernährung, schadet am Ende allen, Interview mit Cem Özdemir in “Die Zeit” (zuletzt aufgerufen am 16.08.2022)
15 50by40, https://50by40.org/about/ (zuletzt aufgerufen am 16.08.2022)